(Dieser Text wurde publiziert am 20. Januar 2018)

Auf die Initiative einer Privatperson hin entstand vor 40 Jahren das Sorgentelefon für Kinder. Eine gute Idee und im Interesse der Kin­der, wie sich zeigen sollte. Am 20. Januar 1978 nahm sie ihren An­fang. Und auch nach vielen turbulenten Jahren, nach vielen Hochs und Tiefs ist das Sorgentelefon weiter aktiv. Auch nach 40 Jahren ist das Sorgentelefon gefragt, haben die Kinder Fragen und wollen Antworten. Wir werfen einen Blick zurück.


Eine gute Idee wird 40 Jahre alt

Das Sorgentelefon für Kinder gibt es seit 40 Jahren. Erdacht und auf­gebaut wurde es von Heinz Peyer. Begonnen hatte alles mit einem Roman von Heinz Peyer. Darin schrieb er über ein Kind, das sich in seiner Not per Telefon an eine Kinder­hilfestelle gewandt hatte.

Anläss­lich der Vorlesung in einer Schule fragten die Kinder nach der Num­mer des be­schriebenen Hilfe­telefons. Das Angebot einer telefonischen Be­ratung für Kinder existierte damals aber nicht, somit gab es auch keine ent­sprechende Telefon­nummer.

Heinz Peyer erkannte das Bedürfnis eines Hilfetelefons, das speziell auf Kinder ausgerichtet war. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es solche Be­ratungsangebote nur für Er­wachsene. So war die Initiative einer Privat­person nötig, um auch für Kinder ein entsprechendes Angebot einzu­richten.

Aufgewachsen war Heinz Peyer in einem Kinderheim. Er hatte früh die Konse­quenzen gespürt, wenn man seine eigene Meinung äusserte. Al­leine unter den Alleingelassenen hatte er gelernt, seine Meinung für sich zu behalten. Diese Erfahrung hatte ihn geprägt und begleitete ihn sein ganzes Leben.

 

Die Anfänge

Heinz Peyer hatte früh erkannt, dass das Telefon eine immer grössere Rolle im täglichen Leben der Kinder spielen wird. In Zukunft würden sie öfter über das Telefon kommunizieren anstatt Briefe zu schreiben.

Vor dem Start hatte Heinz Peyer Karteikarten und Notizblätter vorbereitet, um darauf die eingehenden Anrufe zu doku­mentieren und nach The­men zu erfassen. "Die Kinder werden sich doch an Leute in ihrer Um­gebung wenden. Sie werden sich kaum einer unbe­kannten Drittperson anvertrauen. Meinst du wirklich, es ruft jemand an?", gab seine Frau zu bedenken.

Das Telefon war Ende der 70er Jahre noch kein Alltagsge­genstand wie heutzutage. Und auch für ein Kindertelefon gab es keine Erfahrungs­werte, das Thema war zu neu. Heinz Peyer wollte die­sen ungehörten Kindern eine Stimme geben.

Am 20. Januar 1978 nahm das schweiz­weit erste Sorgentelefon für Kinder seinen Be­trieb auf. Das Angebot sollte zu­nächst für ein Jahr in Betrieb sein. Heinz Peyer rechnete mit fünf Anru­fen pro Tag, aber schon am ersten Wo­chenende riefen gegen 100 Kin­der an.

Sie fragten in vielfältiger Weise um Rat. Sie wollten Hilfe bei den Hausaufgaben haben, andere hatten Fragen zu freundschaftli­chen und schulischen Problemen. Einige Kin­der berichteten auch von Proble­men zu Hause, von Schlägen und Misshandlungen.

Andere wollten sich einfach ihren Frust von der Seele reden und waren froh, dass ihnen je­mand zuhörte, ohne gleich mit Be­lehrungen aufzuwarten.

 

Der Ausbau

Heinz Peyer entschied sich, mit dem Sorgentelefon weiterzumachen und die Einrichtung auszubauen. Charakteristisch am Sorgentelefon war, dass alle An­rufe in einer Zentrale entgegenge­nom­men wurden, statt sie an regionale Stellen umzuleiten.

Viele Kinder wollten auch dass man ihnen Märchen vorliest, weil ihre El­tern keine Zeit hat­ten. Um die Sor­gentelefon-Nummer dadurch nicht zu blockieren, wurde auf ei­ner zu­sätzlichen Telefonnummer ein Märlitelefon einge­richtet. Das Märlitelefon startete seinen Dienst am 1. Juli 1978. Es war bei den Kindern sehr beliebt und wurde innerhalb der ersten 30 Tage über 6'000 Mal angerufen. Nach neun Monaten zählte das Märlitelefon über 100'000 Anrufe.

Ab dem 1. Januar 1992 war das Sorgentelefon über eine Gratis-Num­mer (155er-Nummer, sogenannte "grüne Nummer") erreichbar. Von diesem Zeitpunkt an mussten die Kinder in der Telefon­kabine kein Geld mehr einwerfen, um einen Rat zu bekommen.

Subventionen hat das Sorgentelefon zu keinem Zeitpunkt erhalten, es wurde immer von privater Seite finanziert. Nur ein Mal ist Heinz Peyer deswegen in Bern im Bundeshaus vorstellig geworden. Seine Arbeit und sein Engagement wisse man zu schätzen, wurde ihm im Vorzim­mer eines Bundesrates beschieden. Er solle seine Einrichtung eine Ge­nera­tion lang auf eigene Faust betreiben. Wenn das Sorgentelefon dann noch in Betrieb ist, möge er wieder einen Antrag für Subventionen stel­len. Diesen werde man wohlwollend prüfen. Heinz Peyer zog von dan­nen, ohne erneut vorstellig zu werden.

 

Steiniges Terrain

Mit seiner zupackenden Art und seinem grossen Einsatz für Kinder war Heinz Peyer nicht überall gerne gesehen. Er war grossen Anfeindungen ausgesetzt, seine Aktivitäten wurden unter anderem als "Kin­der­quatsch" bezeichnet. Dass Kinder Rechte haben sollten, so etwas passte nicht in die damalige Zeit. Kinder hatten zu gehorchen und durften ohne Konse­quenzen geschlagen werden.

Dass eine Privatper­son aktiv wurde und unbequeme Wahrheiten über das Leid, die Schläge und Misshandlungen der Kin­der ans Licht brachte, stiess auf Widerstand. Was für Heinz Peyer Kindesmisshandlung war, wurde von weiten Tei­len der Gesellschaft als völlig normale Art der Erziehung an­gesehen.

Seit dem Start des Sorgentelefons wurde Heinz Peyer wiederholt in seiner Arbeit behindert. Ehemalige Mitarbeiter hatten schon zu Beginn der 80er-Jahre versucht, ihm Steine in den Weg zu legen und eigene Beratungsangebote zu lancieren. Heinz Peyer hatte diese Aktivitäten als "Theater ohne grosse Zukunft" bezeichnet. Was sich bewahrheiten sollte, einige Angebote wurden nach nur wenigen Tagen wieder eingestellt. Viele waren der Meinung, es besser zu können und zu machen.

Mehrfach wurde versucht, den Gründer aus dem Sorgentelefon zu vertreiben und die Einrichtung zu schliessen.

 

Das (vorläufige) Ende, und erste Reaktionen darauf

Trauriger Höhepunkt in dieser Hinsicht war der Konkurs der Stiftung Sorgentelefon für Kinder im Sommer 1992. Die äusseren Umstände und auch die Geschwindigkeit, in der sich dies zugetragen hat, lassen bis heute viele Fragen offen.

Mehrere Institutionen wollten aus den Wirren um den Konkurs Profit schlagen. Sie waren überraschend schnell zur Stelle, um sich als Nachfolger des Sorgentelefons in Position zu brin­gen. Wieder waren viele der Meinung, es besser machen zu können.

Nur vier Tage nach Kon­kurseröffnung hatten ehemalige Sorgentelefon-Mitarbeiter einen Verein gegründet, um einen eigenen Dienst aufzu­bauen. Die Gründungsversammlung fand am 28. Juni 1992 statt. Gleichzeitig distanzierte man sich "mit aller Deutlichkeit" von Heinz Peyer. Eine weitere Zusammenarbeit sei "völlig ausgeschlossen" und komme auch zu einem späteren Zeitpunkt "unter keinen Umständen" in Frage. Dieser Verein war nur wenige Tage später im Besitz der Sorgentele­fon-Nummer.

Kaum war dies geschehen, kam es zum Streit mit ande­ren Institutionen und Hilfswerken. Denn auch diese waren an der Nummer interessiert und bereits länger aktiv als der erst einige Tage zuvor gegründete Verein. Gleichzeitig wurde aber auch verbreitet, man wolle dabei keineswegs mit den Leuten des "Peyer-Sorgentelefons" zusammenarbeiten.

Wie ein Nachfolge-Hilfswerk auszusehen hatte, dar­über gab es in der Folge unterschiedliche Meinungen und Ansichten. Während die Einen breite Unterstützung hinter sich versammeln konnten und regio­nale Dienste betreiben wollten, war der neu gegründete Verein und gleichzeitig auch neue Besitzer der Sorgen­te­lefon-Num­mer für eine mehr­heitlich zentrale Variante.

 

Wenn nicht so, wie dann? Und wer?

Durch die Einstellung des Sorgentelefons kamen auch Probleme zum Vorschein, denen bisher kaum Beachtung geschenkt wurde: So wurde Heinz Peyer von ande­ren Personen und Institutionen seit längerem für seine Arbeit kritisiert. Man liess es aber bei der Kritik bewenden, eine in der Schweiz einheitli­che und für Kinder kostenlos erreichbare Telefonnummer hatte bis zu diesem Zeitpunkt niemand anderes aufgebaut oder eingerichtet. Auch nach der Betriebseinstellung war niemand mit einer funktionieren­den Alternative zur Stelle.

Die Frage "wenn nicht so, wie dann?" schien sich niemand gestellt zu haben. Man könne nicht kurzfristig in die nun entstandene Lücke springen, werde die Situation aber analysieren und entsprechende Lösungen erarbeiten, liessen die angefragten Stellen verlauten. Es blieb bei vagen Formulierungen, z.B. wollte man jetzt etwas besseres bieten können anstelle von "diesem Sorgentelefon". Auch die Absicht nach einer Forderung zur Verzehnfachung von bestehenden Subventionen wurde diskutiert.

Letztlich war nur wenig konkretes zu erfahren, man gab sich ausgesprochen wortkarg. Man sei bereits mit anderen Aufgaben ausgelastet, und diese können aus finanziellen Gründen auch nicht ausgeweitet werden. Auch deshalb wurde dieses Thema zwischen Hilfswerken und staatlichen Stellen hin- und her gereicht.

Eine für Kinder telefonisch und kostenlos erreichbare Beratungsmöglichkeit stand nicht zur Verfügung. Bis es so weit war, sollte es noch viele Jahre dauern.

Kinder hätten halt keine Lobby in diesem Land, war eine ernüchternde Feststellung zu diesem Thema.

 

Übergang und Nachfolge-Hilfswerk(e)

Auch in den folgenden Wochen konnte keine abschliessende Einigung erzielt werden. Die ehemalige Sorgentelefon-Nummer sollte schliesslich im Rahmen einer Übergangslösung bis im Frühjahr 1993 weiter be­trieben wer­den.

Hin­ter den Kulis­sen ging der Streit um den zukünftigen Betrieb und die weitere Ausrichtung eines Nach­folge-Hilfswerks wei­ter. Eine Einigung war weiterhin nicht in Sicht. Im Gegenteil, Heinz Peyers "Erben" sollten sich schon bald in den Haaren liegen. Am Ende entstanden zwei unterschiedliche Lösungen. Während einerseits die ehemalige Sorgentelefon-Nummer unter anderem Namen weiter genutzt wurde, versuchten Andere sich als "neues Sorgentelefon" zu positionieren.

Beide Nachfolge-Hilfswerke gibt es nicht mehr. Ihre Aktivitäten waren nur von kurzer Dauer, sie variierten zwischen neun Monaten und etwas mehr als fünf Jahren.

 

Nachfolge-Hilfswerk A

Das eine Nachfolge-Hilfswerk hatte seinen Betrieb erst im September 1994 aufge­nommen.

Dahinter stand der im Juni 1992 gegründete Verein der ehemaligen Sorgentelefon-Mit­arbeiter. Eine Zusammenarbeit mit anderen Institutionen über die Übergangslösung hinaus war zuvor ge­scheitert.

Mit der Begrün­dung, er sei eine "Peyer-Altlast", wurde der Verein abgelehnt und "kaltgestellt", als er sein Angebot an das im Mai 1993 gestartete Nachfolge-Hilfswerk B der anderen Institutionen angliedern wollte.

Aus Ärger darüber begann der Verein im April 1993 ein eigenes Beratungsangebot aufzu­bauen.

Man sei in die Opposition gedrängt worden und hatte nun das Ziel, eine kostenlose und unabhängige Alternative anzubie­ten. Damit wollte man auch die Mängel beim anderen (und bereits gestarteten, kostenpflichtigen) Hilfswerk beheben. Die fachliche Seite der meisten an das Hilfswerk angeschlossenen Institutionen wurde ebenfalls kritisiert. Man zog die Qualität der Beratungen in Zweifel, die Organisationen seien nicht speziell auf Kinder ausgerichtet. Der Verein hatte um diese Zeit rund 400 Mitglieder.

Auch in den Medien wurde in der Folge über das "Gezank mit teils absurden Zügen" und dem "grotesk anmutenden Hickhack" zwi­schen den beiden Hilfswerken berichtet.

Die ehemalige Sorgentelefon-Nummer wurde deshalb im Mai 1993 auch nicht zugunsten von Nachfolge-Hilfswerk B abgeschaltet. Stattdessen entschied man sich an einer Vereinsversammlung im Juni 1993 dazu, ein eigenes Beratungsangebot aufzubauen.

Während der Aufbauphase hatte der Verein grosse Pläne, man entwickelte die Vision einer vollständig über Spenden finanzierten Einrichtung mit 300'000 Mitgliedern. Zudem sollte ein Comic erdacht werden, um auf das eigene Beratungsangebot hinzuweisen.

Im Januar 1994 wurde bekanntgegeben, dass der Start des neuen Beratungsangebots für den März 1994 vorgesehen war.

Das Nachfolge-Hilfswerk B hatte sich im Februar 1994 von diesem Projekt und der übrigen Arbeit des dahinter stehenden Vereins öffentlich distanziert.

Es sollte schliesslich September 1994 werden bis das neue Hilfswerk seinen Betrieb aufnehmen konnte. Der ur­sprüngliche Starttermin im März 1994 konnte wegen fehlender finanzieller Mittel nicht eingehalten werden. Die immer noch hohe Bekanntheit der ehemaligen Sor­gentele­fon-Nummer sorgte auch über zwei Jahre nach den ganzen Ereignissen für beeindruckende An­ruf­zahlen. So habe man von September 1994 bis April 1995 über 30'000 Anrufe registriert.

Nur neun Monate nach dem Start drohte bereits wieder das Aus. Der Verein gab im Mai 1995 bekannt, man habe mit finanziellen Problemen zu kämpfen. Er zählte um diese Zeit rund 300 Mitglieder.

Man sei wegen der grossen Nachfrage "in arge finanzielle Bedrängnis geraten" und das Angebot müsse eingestellt wer­den, wenn nicht in den nächsten Tagen Spenden in mittlerer fünfstelliger Höhe eintreffen würden.

Zehn Tage nach dieser Mitteilung wurde im Juni 1995 der Betrieb eingestellt und die Bilanz deponiert.

Die ehe­malige Sor­gentelefon-Nummer wurde da­nach nicht mehr ge­nutzt und auch nicht mehr neu vergeben. Wer nach der Betriebseinstellung die ehemalige Sorgentelefon-Nummer wählte, hörte nur noch ein Tonband das bekannt gab: "Diese Nummer ist nicht mehr in Betrieb." Auf andere Beratungsangebote wurde nicht hingewie­sen.

Das Vorhaben, eine bestehende Telefonnummer zu übernehmen um von deren Bekanntheit zu profitieren (und sich gleichzeitig davon zu distanzieren), darauf aufbauend ein neues Angebot zu starten und die entstehenden Kosten durch zu erwartende Spenden zu decken schien nicht verfangen zu haben.

 

Nachfolge-Hilfswerk B

Das andere Nachfolge-Hilfswerk hatte seinen Betrieb nach mehrmaligen Ankündi­gungen im Mai 1993 aufgenommen. Es handelte sich dabei um einen Zusammenschluss verschiedener bereits aktiver Beratungsstellen, die nun über eine einheitliche Nummer erreichbar waren.

Von grossem Medienbeifall, öffentlicher Hilfe und namhaften Trägern begleitet war es mit dem Anspruch angetreten, das Sorgentelefon von Heinz Peyer ab­zulösen. Man nannte sich selbstbewusst "das neue Sorgentelefon für Kinder und Jugendliche" und erwartete gegen 100 Anrufe pro Tag.

Mit dem Start des neuen Hilfswerks wurde auch eine kostenpflichtige 157er-Telefonnummer eingeführt. Damit war die Beratung für Kinder nicht mehr gratis, ein Anruf kostete nun 33 Rappen pro Minute. Die Nähe der 157er-Nummer zu Erotikangeboten von 156er-Nummern wurde von den Medien bemerkt, aber nur vereinzelt angesprochen.

Die anfängliche Euphorie war nur von kurzer Dauer. Schon bald wurde klar, dass das Angebot nur wenig genutzt wurde. Bereits im ersten Betriebsjahr lag die Zahl der Anrufe unter den Erwartungen.

Statt 100 Anrufen pro Tag zählte man lediglich um die 300 Anrufe pro Monat, eine für die 90er-Jahre eher niedrige Zahl. Für diese ge­ringe An­rufzahl aber hatte das Hilfswerk überdimensionierte Struktu­ren. Es bestand kurz nach seinem Start aus 14 telefonischen Kinderbera­tungs­stellen, geführt von unterschiedlichen Organisationen.

Bereits in der Jahresrechnung 1995 wies es ein Defizit aus. Ohne einen einmaligen Betrag, den das Hilfswerk 1993 vom Bund als Starthilfe erhielt, hätte es zu diesem Zeitpunkt bereits Konkurs anmelden müssen.

Bemerkenswert war auch, dass eine grosse Organisation, die zudem das Netz in den meisten Regi­onen betreute, über eine dreistellige Nummer erreichbar war. Das Angebot auf dieser dreistelligen Nummer bestand seit 1958, und An­rufe auf eben diese Nummer kosteten nicht 33 Rappen pro Mi­nute, sondern 20 Rappen pro Anruf.

Diese Organisation deckte damals rund 90 Prozent der Anrufe in der Schweiz ab. Auch deshalb, weil niemand anderes in der Lage war, das erforderliche flächendeckende Angebot für einen solchen Dienst sicherzustellen. Als operativer Hauptträger und gegen eine Entschädigung von 20'000 Franken jährlich übernahm sie diese Aufgabe.

Auch innerhalb der Trägeror­ganisationen war man mit unter­schied­li­chen Vorstellungen am Werk. Vorstandsmitglieder verlangten eine Spe­zialisie­rung der Beraterinnen und Berater, um die Sorgen der Kin­der und ihre versteckten Botschaften besser zu ver­stehen. Gleichzeitig monierten verschiedene Kreise aber, dass mit die­ser neuen "157er-Werbenummer" nur neue Bedürf­nisse ge­schaf­fen würden.

Eine grosse Trä­ger­orga­nisation (jene die auch über eine dreistellige Nummer erreichbar war) for­derte ihrerseits, dass  die kos­tenpflichtige Telefon­num­mer wieder ein­ge­stellt wird. Das Geschäft einer telefonischen Erstanlauf­stelle solle man ganz ihr überlassen. Denn sie stellte schon bald fest, dass sich die meisten Kinder und Jugendlichen wie bis anhin direkt über die dreistellige Nummer bei ihr meldeten. Daher verfolgte sie seit 1994 das Ziel, das Nachfolge-Hilfswerk B aufzugeben und forderte die beteiligten Kinderhilfsorganisationen immer wieder dazu auf, diese Spezialnummer einzustellen.

Diese Trägerorganisation stieg schliesslich im Frühjahr 1996 aus und beendete im September 1996 ihren Telefondienst für das Hilfs­werk. Sie stellte die Existenzberechtigung dieses Hilfswerks von Beginn weg in Frage und war der Meinung, dass die Schweiz keinen zusätzlichen Kindernotruf benötige.

Damit drohte erstmals das Aus, und auch das Verstummen der Telefonanschlüsse in den meisten Regionen.

Die Suche nach neuen Beratern gestaltete sich aufgrund "der allgemein miserablen Finanzlage der Institutionen und Stellen" als schwierig. Auch innerhalb des Hilfswerks war die finanzielle Situation sehr angespannt.

In der Folge improvisierte man ab Oktober 1996 mit einem Übergangsnetz. Dieses hatte aber mit der ursprünglichen Idee einer national bedienten und regional verankerten Hotline nicht mehr viel zu tun.

So machte sich weitherum Ernüchterung breit, nach nicht einmal dreieinhalb Jahren sah vieles anders aus.

An wortreicher Unterstützung hatte es in all den Jahren nie gefehlt, aber innerhalb der Trägerorganisationen waren die Vorstellun­gen sehr unterschiedlich. Mit den Finanzen harzte es ebenfalls, die Trägerorganisationen waren auch in diesem Punkt vor allem mit sich selber beschäftigt.

Im Juni 1998 stand das Hilfswerk erneut vor dem Aus. Die für den Betrieb nötigen Mittel konnten Jahr für Jahr nur mit Mühe zusammengekratzt werden. So­wohl eine Restrukturierung als auch eine Auflösung standen zur Dis­kussion.

Dies nahmen verschiedene Trägerorganisationen zum Anlass, sogleich eigene Vorschläge und Konzepte für eine Weiterführung des Hilfswerks zu präsentieren. In den Medien war von einem "peinlichen Gerangel" die Rede und man hoffte, dass von der Grundidee des Hilfswerks noch etwas übrigbleiben werde.

Eine Trägerorganisation hatte zuvor in einem internen Bericht eine negative Bilanz über die Aktivitäten des Hilfswerks gezogen. Seit seiner Gründung vor fünf Jahren habe es das Hilfswerk nicht geschafft sich einen guten Namen zu erarbeiten, es sei eine Struktur vorhanden welche die Führung eines Kindernotrufes behindere und die Aufgabenverteilung sei diffus. Und es sei auch nicht gelungen eine finanzielle Basis zu schaffen.

Im September 1998 ging das Nachfolge-Hilfswerk B nach einigen turbulenten Jahren schliesslich in ei­ner Nachfolge­organi­sation auf. Es hatte etwas mehr als fünf Jahre über­dauert.

Die Betreiber des seit Oktober 1996 eingesetzten Übergangsnetzes waren in dieser Nachfolgeorganisation nicht mehr dabei. Die Zusammenarbeit mit ihnen wurde im Juni 1998 aufge­löst, sie seien nach eigener Aussage "unfein rausgeworfen worden". Sie erwarteten in der Folge eine Entschuldigung, witterten eine Verschwörung und bestanden auf die Bezahlung noch ausstehender Rechnungen in der Höhe von fast 120'000 Franken.

Eben jene Betreiber dieses Übergangsnetzes hatten noch im Sommer 1992 an vorderster Front gegen Heinz Peyers Sorgentelefon opponiert. Dabei sparten sie auch nicht mit Vorwürfen, so sagte unter anderem eine Psychologin und Fachjournalistin, Heinz Peyer sei "praktisch Analphabet, grössenwahnsinnig und ein Scharlatan".

In den Medien war rückblickend von "kummervollen" Aktivitäten zu lesen. Man wunderte sich über allerlei Streitigkeiten, Stürmereien und Auseinandersetzungen die sich in nur fünf Jahren ereignet hatten, und die das "krisengeplagte" Hilfswerk nie zur Ruhe kommen liessen.

Die danach entstandene Organisation nahm im März 1999 ihren Betrieb auf und war über eine dreistellige Nummer erreichbar. Zu Beginn waren Anrufe auf diese Nummer noch nicht kostenlos, sie kosteten immer noch einen fixen Betrag pro Anruf.

 

Der Neubeginn

Nach der Einstellung durch den Konkurs hatte das Sorgentelefon für Kinder seinen Betrieb im September 1993 wieder aufgenommen.

Heinz Peyer folgte dabei seiner inneren Überzeugung. Auch ihm waren die Streitereien der anderen Organisationen, die unmittelbar nach dem Konkurs des Sorgentelefons begonnen hatten, nicht verborgen geblieben. Er hatte Zweifel daran, ob dieses Gerangel der Sache nützen werde.

Auch dass Kinder für eine Beratung Geld bezahlen sollten, wurde von Heinz Peyer mit Argwohn betrachtet. Er hatte grosse Bedenken an der Rechtmässigkeit dieses Treibens und war der Meinung, dass man Kindern diese Gesprächstaxen nicht aufbürden solle. Auch diese Kosten mussten durch das Hilfswerk getragen werden, es sollte in der Lage sein diese zusätzlichen Ausgaben zu stemmen. Andernfalls müsse man sich die Frage stellen, ob das Hilfswerk seine eigene Aufgabe ernst nimmt oder nur öffentliche Imagepflege betreibt.

Das Sor­gentelefon war zuvor als Verein und danach als Stiftung organisiert, nun sollte eine GmbH der Träger sein. Dies als Zeichen für kurze Ent­scheidungswege und dass gespendete Gelder effizient (und ohne langwierige Diskussionen im Hintergrund) eingesetzt werden.

Auch die Gra­tisnummer blieb bestehen. Nur die Nummer des Sorgente­lefons hatte sich geän­dert, erst auf 155 42 10 und einige Jahre später auf die bis heute gül­tige Telefonnummer 0800 55 42 10.

Heinz Peyer war der festen Überzeugung, dass die Beratung für Kinder gratis sein muss. Die so entstehenden hohen Telefonkosten nahm er in Kauf. Nur so konnten die Kinder Unterstützung erhalten, wo immer sie sich gerade befanden. Einzig eine Telefonkabine musste in der Nähe sein.

Der Betrieb des Sorgentelefons wurde in den folgenden Jahren wieder aufgebaut. Es folg­ten einige hol­perige Startjahre, wovon sich Heinz Peyer aber nicht be­irren liess. Die Telefonberatung wurde immer nur so weit ausgebaut, wie es die finanzielle Lage langfristig zuliess.

Auch die zunehmende Verbreitung von Computer-Netzwerken zeich­nete sich bereits ab. Das Sorgentelefon begann früh damit, Informatio­nen im Internet zur Verfügung zu stellen. Seit 1996 war das Sorgentelefon im Internet zu finden. So konnten sich Kinder und Jugendliche auch selbst informieren, ohne das Sorgentelefon an­rufen zu müssen. Beim Sorgentelefon wiederum standen so mehr Ka­pazitäten für die Betreuung von komplexeren Fällen zur Verfügung.

Heinz Peyer glaubte an die Idee einer für Kinder kostenlosen und un­abhängigen Be­ratungs­stelle. Es war sein Wunsch, denen zu helfen, die sich selbst nicht helfen konnten. Und er hatte er­lebt, wie Kinder gesell­schaftliche Veränderun­gen erfah­ren, be­vor die Erwachsenen damit konfrontiert werden.

 

Ein schwerer Schlag

Im September 2003 ereignete sich ein schwerer Schicksalsschlag: Der Sorgen­telefon-Gründer war völlig unerwartet an Krebs erkrankt. Die Ärzte gin­gen davon aus, dass er noch 6 Monate zu leben hatte.

Für alle Beteiligten war diese Zeit eine grosse Belastung. Es musste nicht nur der Betrieb des Sorgentelefons aufrecht erhalten werden, auch über die Zukunft und eine Weiterführung musste man sich Gedanken machen.

Heinz Peyer liess sich von den düsteren Aussichten seiner Erkrankung nicht beeindrucken. Er war weiterhin sehr engagiert bei der Sache und konzentrierte sich auf die Herausforderung, seine Erkrankung in Schach zu halten. Auch wenn sein Körper stark zu kämpfen hatte, blieb er guter Dinge und hatte viele Pläne für die Zukunft entwickelt. Er bliebt bis zuletzt in die täglichen Aufgaben und Entscheidungen des Sorgentelefons eingebunden und hatte nie vor diese Aufgabe abzugeben.

Am 9. März 2005 war Heinz Peyer für immer eingeschlafen. Nach 1,5 Jahren hatte er den Kampf ge­gen die Krankheit verloren.

 

Die Weiterführung

Seine Familie entschied sich nach ausführlichen Gesprächen und Ab­wägungen dazu, das Sor­gentelefon im Sinne des Grün­ders weiterzu­führen. Auch unabhängig von der Person Heinz Peyer wurde das Sor­gentele­fon gebraucht und das Beratungsangebot ge­nutzt. Motiviertes Perso­nal, das die Einrich­tung weiterhin unterstütz­en konnte und wollte, stand zur Verfügung. Es war aber auch klar, dass der Gründer fehlen würde. Der Betrieb sollte weitergeführt wer­den, wenn auch im kleineren Rahmen. Dies gelang, und so ist das Sor­gen­telefon für Kinder auch an seinem 40. Geburtstag weiter aktiv.

Die anrufenden Mädchen und Jungen bewiesen im Lauf der Jahre im­mer wieder eindrücklich, wie sie durch ihre kindliche Wahrnehmung be­stimmte Dinge früher als mögliche Schwierigkeiten erkennen und diese auch benennen konnten. Beispielsweise betrafen die schulischen Probleme zu Beginn der 90er Jahre vermehrt Übergriffe oder Gewalt. Einige Jahre später klagten die Kinder häufiger über die vielen Hausaufgaben.

Um das Jahr 2000 berichteten sie von einer Angst vor der Schule, in Verbindung mit Angstsymptomen (z.B. Magenschmerzen morgens vor der Schule, Schlafprobleme).

Nach der Jahrtausendwende verlagerten sich die Probleme im Zusammenhang mit Schule in Rich­tung Überforderung, der Furcht vor Schulversagen und Angst, die Er­wartun­gen der Eltern sowie der Lehrer zu enttäuschen. Bis heute haben die Probleme und Symptome der Kinder weiter zugenommen.

Kinder haben auch nach 40 Jahren Fragen und wollen Antworten. Aber wie sie sich diese Informationen beschaffen, das hat sich geändert. Das Telefon ist schon lange nicht mehr das einzige Informations- und Kom­munikationsmittel. Auch darauf hat sich das Sorgentelefon einge­stellt, nebst SMS wird auch E-Mail zur Beratung angeboten. Und über die In­ternetseite des Sorgentelefons können sich die Kinder heute auch selbst zu verschiedenen Themen informieren.

 

Erfreuliches

Auch in der Gesellschaft hatte ein Umdenken stattgefunden. Kin­der aus den Anfangszeiten des Sorgentelefons sind erwachsen gewor­den. Diese hatten sich aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen für die jün­gere Generation eingesetzt und auch Verständnis für deren Probleme entwi­ckelt.

Die Einsicht hat sich durchgesetzt, dass auch Kinder ernst ge­nommen werden müssen. Sie haben heute mehr Rechte als noch vor 40 Jahren.

Es ist schön zu sehen, dass Kindern heute ver­schie­dene Anlaufstellen zur Verfügung stehen und sie von vielen Seiten un­ter­stützt werden. Und auch andere Institutionen die in völlig anderen Gebieten tätig sind, nennen sich heute "Sorgentelefon".

Wir danken unseren Freunden und Gönnern, die das Sorgentelefon auf diesem Weg unterstützt haben und es immer noch unterstützen.

Ebenso danken wir den Kindern, die sich an das Sorgentelefon ge­wandt haben, für das entgegengebrachte Vertrauen: Sei es in den ver­gangenen Jahrzehnten, heute oder in der Zukunft.

 

Sorgentelefon für Kinder

Marianne Peyer
Daniel Peyer
…und das Beratungsteam des Sorgentelefons

● Sorgentelefon für Kinder ● 0800 55 42 10 ● www.sorgentelefon.ch ●
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